Freitag, 14. Juni 2019


Verwachsungen – Mensch und Maschine


Der Philosoph und Mediziner Joachim Bodamer hat bereits in einem Aufsatz aus dem Jahre 1960 eine treffliche Analyse der menschlichen Verfassung in den westlichen Zivilisationen des 21. Jahrhunderts geliefert.

„Unsere Untersuchung geht davon aus, dass der heutige Mensch nicht allein in einer vollkommen von der Technik bestimmten Umwelt lebt, sondern als „Person“ nicht weniger technisiert ist, das heißt, in seinem Verhalten, seinen seelischen Vollzügen, seinem Handeln und in der ganzen Art seiner Weltbewältigung sich der technischen Funktionalität angepasst hat. Seine Daseinsform ist keine „natürliche“ mehr, weil Technik und industrielle Zivilisation Daseinsbedingungen geschaffen haben, die der Konstitution des Menschen entgegengesetzt sind, wobei diese Gegensätzlichkeit durch neue technische Einfälle immer wieder ausgeglichen werden muss.

Da diese Welt ein künstliches und „sekundäres“ System ist, in deren Mittelpunkt primär die Maschine steht, befindet sie sich dauernd in einem Zustand der Labilität und Unruhe, zwingt den Menschen zu gewaltigen Sicherungsmaßnahmen und wächst doch, aufgrund eines undurchschaubaren Gesetzes, andauernd über ihn hinaus. Die Anstrengung, diesen permanenten Vorsprung der technischen Entwicklung immer wieder einzuholen und neuen Lagen gerecht zu werden, prägt die Gesichter und Seelen in der technischen Welt. Sie sind nur dann mit sich in Übereinstimmung, wenn ihnen die Anpassung so vollkommen gelingt, dass eine Identifikation zwischen Mensch und technischem Gebilde zustande kommt. Der Mensch und seine Maschine werden dann eine neue anthropo-technische Einheit. Ob der Mensch für das technische Mittel da ist oder dieses für ihn, ist nicht mehr unterscheidbar und die Frage zu stellen, wie weit er zum Zweck seiner eigenen Mittel geworden ist, wird überflüssig.


Sobald aber diese Verschmelzung von Mensch und Maschine im weitesten Sinne nicht mehr gelingt, sei es, dass Suprageschwindigkeiten die menschliche Konstitution zu zerbrechen drohen, oder dass die technischen Gebilde als Ganzes unüberschaubar werden, wie etwa bei den elektronischen Rechenmaschinen, mit denen sich das übergeordnete Gehirn der Technik zu bilden scheint, da entsteht eine spezifische Angst in der Massenseele, diese Angst der absolut hilflosen Abhängigkeit, die sich in zahllosen Reaktionen Luft verschafft.“

copyright Foto: Detlef Rapp