Dienstag, 31. März 2020


Über eine Kultur der Abschottung und die Konzentration auf das große Ganze


Zu Beginn der „Corona Krise“ wurde im Westen mit einer gewissen Häme darüber berichtet, dass die chinesische Führung jetzt wohl einer Bestandsprobe ausgesetzt sei, die sie vielleicht nicht beherrschen würde. Fälschlicherweise wird seit geraumer Zeit die chinesische Führung in einen Topf geworfen mit autokratischen Führungen wie sie von Russland bis in die USA auferstanden sind.
Diese Fehlinterpretation, auch sogenannter seriöser Medien, basiert auf erheblichen Wissenslücken über chinesische Geschichte, die bereits in okzidentalen Bildungssystemen angelegt und bis heute nicht überwunden ist.

In der Ming Dynastie beispielsweise, einer dieser Blütezeiten chinesischer Kultur, lebte dort bereits ein Drittel aller die Erde bevölkernden Menschen.
Im 15. Jahrhundert verfügte China für eine kurze Epoche über eine Schiffsflotte mit den größten jemals gebauten Holzschiffen. Diese Flotte bewegte sich auch nach Westen, bis Afrika, ohne jedoch militärisch expansiv zu werden – es ging wie heute um neue Handelswege, so wie China heute weltweit Infrastrukturen aufbaut und damit eine ganz andere Akzeptanz erwirbt als der Westen mit seinen weiterhin kolonial geprägten Mitteln.
China versteht sich seit Jahrtausenden als das Reich der Mitte, expansives Denken findet nicht statt und so ist folgerichtig auch Abschottung seit alters her ein wichtiges Prinzip und die chinesische Mauer ihr Bauwerk gewordenes Symbol. Die Kenntnis über dieses Prinzip hat sich aktuell als hilfreich erwiesen.

Wesentlicher Unterschied zu okzidentalem Denken ist jedoch der Blick auf das Ganze. Die gesamte Bevölkerung und eben auch chinesische Führer sind immer schon vor allem Anderen dem Wohlergehen des großen Ganzen verpflichtet, das ist das entscheidende Kriterium. Zwar gab es unter den Herrschenden, wie auch im kleinen privaten diese scheinbar universellen Egoismen, am Ende aber ist das nachrangig – autokratisches Handeln hat damit eine andere Dimension.
Zwar verfolgte die europäische Antike noch andere Ansätze, dann aber, durch alle feudalen Epochen über die Zeit der Industrialisierung bis in die Gegenwart, war und ist das Geschehen durch die Egoismen kleiner Gruppen geprägt – das Wohlergehen aller ist seit Jahrhunderten kein Kriterium.

                                behind the window - dancer Amelia Llop, copyright Foto D. Rapp

Vom esoterisch oder spirituell bewegten Menschen bis zur Finanzindustrie, der westliche Verkaufsslogan lautet seit geraumer Zeit „wenn es mir gut geht, strahlt es auf alle und ist damit positiv“ – Wesentliches Erkennungsmerkmal dieser Egosysteme ist also die gleichzeitige Behauptung, mit der Selbstbezogenheit dem Ganzen zu dienen, ein Widerspruch in sich, der dazu führt, dass diese Systeme aktuell heiß laufen, egal ob Pandemie oder Umweltkatastrophe oder Wirtschaftskollaps.
Einziger Ausweg bleibt damit die Abkehr von allgegenwärtigen Egosystemen, hin zu Ökosystemen – die Vorsilbe Öko geht zurück auf das griechische oikos und beschreibt das ganze Haus, auch Ökonomie und Ökologie haben damit dieselbe Sprachwurzel.

Obwohl die umweltschädliche Prokopfemission der westlichen Industrieländer noch immer weit vor allen anderen liegt, übt sich China nicht in Schuldzuweisungen, sondern setzt mit einem im konfuzianischen begründeten Pragmatismus und radikaler Geschwindigkeit neue Umwelttechnologien in die Praxis um – autoritäres Handeln im Interesse des Ganzen, im Westen dagegen darf jeder gegen die Geräusche einer Windkraftanlage klagen und damit sein Ego über das Ganze stellen.

Gerade linke oder hedonistische Kultur erfährt seit „Fridays for future“ und jetzt durch die Corona Problematik eine schwere Grundlagenkrise. Einerseits werden in demokratischen Wahlen Politiker gewählt, die ganz offensichtlich im ausschließlichen Eigeninteresse Machtmißbrauch und Korruption betreiben, andererseits zeigt China Ansätze, die Problemstellungen der Gegenwart mit autoritären Mitteln wirkungsvoll zu bekämpfen.
Daraus darf sich für die westlichen Egosysteme jedoch keinesfalls ergeben, diese autoritären Mittel einfach zu übernehmen – jetzt die Coronaverfolgung per app ohne den unerlässlichen Wertewandel zu akzeptieren würde zwangsläufig in dunkle Zeiten führen.

Sagte doch bereits Joseph Beuys „die äußere Freiheit hat ja mit Freiheit gar nichts zu tun, denn die Freiheit ist das Anwachsen des menschlichen Bewusstseins“. C. O. Scharmer beschreibt diesen notwendigen Wechsel von den Egosystemen zu Ökosystemen als ein Hineinlehnen in die Zukunft, Denken von der Zukunft her und  er beschreibt ihn als Möglichkeit für den Moment des Endes unserer überkommenen Zivilisation – vielleicht also genau jetzt.

"Frühstücksgespräche" mit Joseph Beuys im Jahr 1985: https://www.youtube.com/watch?v=61L8dPOc9Jw

Sonntag, 22. März 2020

Krieg ohne Krieger


Angesichts der aktuellen Gesundheitskrise wird gelegentlich erklärt, dass wir uns im Krieg befinden. Das erscheint inhaltlich zunächst unsinnig, beinhaltet jedoch zwei ganz unterschiedliche Aspekte.

Einerseits verbinden führende Staatsmänner erstmals in der Geschichte die Erklärung des Kriegszustandes mit der Aufforderung, dass wirklich ALLE zu Hause bleiben mögen – also ein Krieg ohne Krieger, nur noch die Lazarette bleiben geöffnet - konsequent zu Ende gedacht, wäre das ein pazifistisches Zukunftsmodell.

Andererseits ist eine Epoche angebrochen, in welcher die Austragung virtueller Konflikte mit drastischen Konsequenzen möglich geworden ist – gleichfalls ein Krieg ohne Krieger und auch dort wird der Schaden über die so genannten Viren angerichtet. 

Der Umgang mit Sprache in der Gegenwart war immer auch ein Hinweis auf zukünftiges Geschehen. Geboten ist also erhöhte Wachsamkeit, auf das sich eine friedlichere Zukunft entwickeln kann.

                                      copyright foto: D. Rapp