Mittwoch, 25. Dezember 2019

Sprachverwirrungen

Sprachschöpfungen sind immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Verfassung. So sind denn die Begriffe „Naturschutz“ und erst recht gar „Anthropozän“ Beschreibung eines menschlichen Irrweges, der unser Leben begleitet, seit sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Technikgläubigkeit in vielen Teilen der Welt durchgesetzt hat, eine Technikgläubigkeit, welche die bis dahin anerkannte Überlegenheit der Natur ersetzen will – und diese Sprachschöpfungen entfalten ihre suggestive Kraft auf uns.

Egal, ob menschliches Denken und Handeln geprägt wurde durch antike Götterwelten, monotheistische Religionen oder asiatisches Bewusstsein, so war doch während der gesamten Menschheitsgeschichte die Natur im konkreten Leben immer als die eigentliche und überlegene Kraft anerkannt. Erst in jüngster Zeit ist die Idee entstanden, wir könnten die Natur verändern, eine Idee, die den Menschen als zumindest bestimmenden, wenn nicht gar überlegenen Akteur versteht und diese Idee wird typischerweise nicht von allen Menschen dieser Erde geteilt, ist wohl vorrangig eine Idee der sogenannten „Industrieländer“, basierend auf abendländischer Wissenschaftstradition.

Sind also die beobachteten Veränderungen in unserer natürlichen Umgebung tatsächlich verknüpft mit menschlichem Handeln, sollten wir diese Veränderungen vielleicht besser verstehen als gelassene Reaktion dieser Kraft, die wir Natur nennen, eine Reaktion, die im Ergebnis möglicherweise das Hinfortwischen der temporären Erscheinung namens „Mensch“ zur Folge hat – denn das ist ja das eigentliche Naturerlebnis, das uns Überdauernde von Meeren oder Bergen oder Wüsten, in einem Rhythmus und in Dimensionen von Veränderung, die unser Erfassen weit übersteigen.

Noch vor genau hundert Jahren schrieb der Architekt Bruno Taut „…Die Berge rufen uns ihre Aufforderung zu. Der Erdboden wird fruchtbare Gewährerin, alle elementare Materie lebt, und was wir bauen, ist nur die Gewährerin ihres Geheißes…“ – dann kam der Paradigmenwechsel und diese Demut wurde vollständig ersetzt durch den Glauben an die technische Lösung.

So ist auch der aktuell gerne genutzte Begriff Anthropozän, als Benennung einer neuen geochronologischen Epoche, nämlich des Zeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist, nichts anderes als epochentypischer Ausdruck menschlicher Selbstüberschätzung, ein Denken, welches beispielsweise den tibetischen Mönch ausklammert, in dem sich aber naturignorante politische Führer und abendländische Artenschützer auf gar merkwürdige Weise zusammenfinden.
Das Predigen der technischen Lösung ist systemimmanenter Teil des auf Wachstum basierenden ökonomischen Systems, welches nur einigen Wenigen dient. Sich gar zu sehr ausbreitende Populationen haben sich am Ende aber immer selbst vernichtet, auch das eine dieser Spielregeln der Natur.

Verstehen wir also „Umwelt“-schutz als nichts mehr denn Selbstschutz, den Versuch, die Vergänglichkeit der Art „Mensch“ hinauszuzögern – und vielleicht gewinnen wir ein wenig Wohlwollen dieser Kraft namens Natur zurück und lernen die darin liegende Schönheit zu erkennen.


copyright Fotos: D. Rapp


Erinnerungen

Charles Baudelaire beschreibt menschliche Erinnerungen als Schichten, welche sich übereinander legen, die Nächste mag die Vorherige verdecken, aber verloren gehen sie nicht. Dieser Prozess gilt im Privaten genauso wie im gesellschaftlichen Verlauf. Geschichte wirkt immer weiter.

Erinnerung wirkt durch all diese Schichten, ist damit immer auch Gegenwart und bedarf der Auseinandersetzung um Entwicklung zu ermöglichen. Aktuell erstarken weltweit nationale Bewegungen, Entwicklung wird also umgekehrt, Rückwärtsbewegung auch in den sogenannten westlichen Demokratien. Die Herrschenden antworten mit gleichfalls rückwärtsgerichteten Instrumentarien, es wird nicht in Bildung oder gerechtere Ökonomien investiert, sondern Rüstungsetats erreichen neue Rekordhöhen.

Das erscheint dramatisch in einem Land wie Deutschland, welches besonders grausam agiert hat, Erinnerungen, welche generationenübergreifend immer noch wirken. Und diese Geschichte ist verknüpft, so zum Beispiel mit einem aktuellen Topreiseziel, der Insel Mallorca. Auch in Spanien wirken Erinnerungen und werden nur zaghaft angerührt. Die Journalisten Shelina und Bodo Marks haben darüber geschrieben: https://jungle.world/artikel/2019/27/holpriges-gedenken - legen wir also denen, die da wieder aufrüsten wollen, Stolpersteine in den Weg. 



Spanien 1938, copyright Fotos: D. Rapp (Familienarchiv)

Donnerstag, 31. Oktober 2019

Greta Thunberg und die Kurden oder unter dem Pflaster liegt der Strand

Heiner Müller hat nach dem aktuell genau 30 Jahre zurückliegenden Fall der Mauer bedauert, dass nunmehr auf lange Zeit eine Utopie fehlen werde. Einerseits hatte er wohl Recht, haben doch selbst konservative Politiker beklagt, dass sich mit dem Wegfall des Konkurrenzmodelles Sozialismus die kapitalistische Gier wieder hemmungslos ausbreiten konnte.
Andererseits haben Utopien über künftige Gesellschaftsstrukturen aber dennoch existiert. In den siebziger Jahren waren beispielsweise in eher anarchistischen Blättern wie „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ (später „Zeitschrift für Kraut und Rüben“) Artikel von Murray Bookchin zu lesen.

Murray Bookchin, ursprünglich Kommunist, später Anarchist, vollzog früh eine Abkehr von den Modellen des historischen Materialismus, welche eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft als Voraussetzung für eine befreite, kommunistische Gesellschaft deklarieren. Bookchin beschreibt, dass alleine die ökologische Umweltkatastrophe, welche dies hervorrufen würde, die Existenz der Menschheit vor dem angestrebten Wandel beenden würde.

Bookchin entwirft dagegen eine Idee, unter der Prämisse einer klaren Abkehr vom ökonomischen Wachstumsimperativ, in welcher auf das Empowerment des Individuums hin zum zoon politicon – zum politischen Wesen – gesetzt wird, das sich selbst in den Räten und in der Selbstverwaltung repräsentiert. Das alles findet „vor Ort“ statt, im kommunalistischen Projekt Bookchins wird die Ökonomie nicht verstaatlicht, sondern kommunalisiert – das heißt, Ökonomie wird Teil der Sphäre der politischen Entscheidungen.

Das darauf entwickelte Gesellschaftsmodell, inspirierte Öcalan und die Arbeiterpartei Kurdistans und wurde  im Mai 2005 in das Parteiprogramm des „Demokratischen Konföderalismus“ aufgenommen. Seit der gebietsweisen Rückeroberung hat sich dann die Region Rojava auf der Basis dieses Modelles tatsächlich entwickelt. Die Utopie eines Gesellschaftsmodelles hat es geschafft, in diesen vollständig zerstörten Gemeinden zumindest Ansätze von Hoffnung und bescheidenen Glauben an die Zukunft zu wecken, hat tatkräftiges, konkretes Handeln für einen Wiederaufbau ausgelöst, auch wenn wie immer gilt - Revolution beinhaltet eine riesige Menge an Widersprüchen.

Der Begriff der „Nation“ wird in diesem Konzept aufgelöst hinein in die tatsächliche regionale Identität und Selbstverwaltung. Die regionale Identität ist überschaubar und erklärbar, der Begriff „Nation“ ist immer machtpolitisches Werkzeug – hier tritt der ursprüngliche Gedanke eines unabhängigen kurdischen Staates bereits gelegentlich in den Hintergrund – so wird der kommunalistische Ansatz genau jetzt auch ein interessanter Ansatz für ein Europa, in dem die „Nation“ zunehmend wieder als Machtwerkzeug benutzt wird, sei es in Katalonien oder von der AfD.

Zentrales Thema in diesem Versuch sind vor allem die gegenseitige multiethnische Akzeptanz, Zusammenarbeit unterschiedlicher religiöser Ausrichtungen oder des Atheismus, vor allem aber die gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen in einem Teil der Welt, welcher noch immer in einem besonders archaischen Patriarchat verhaftet ist.
Das akzeptieren die uralten Männerbildern verhafteten Autokraten wie Erdoğan, Trump und ihre Verbündeten nicht. Vordergründig dient auch hier wieder der Begriff der „Nation“ als Begründung, aber der Angriff auf Efrîn in 2018 als erster Versuchsballon und der aktuelle, blutige Einmarsch in Syrien sind natürlich auch unter diesem Aspekt zu betrachten.

Einhergehend mit einem glasklaren und konsequenten Wirtschaftsboykott hätte Europa laut und deutlich den einfachen Satz sagen können “… soll Erdogan die Flüchtlinge schicken, wir werden sie mit offenen Armen empfangen, Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar“ – aber neue politische Konstellationen sind ins Visier genommen, von links über grün bis rechts hoffen alle auf nichts anderes als Positionen an den Schaltstellen politischer Macht. Auch im links-grünen Spektrum wird dabei verkannt, dass diese Gier nach Macht und Positionen inzwischen gar zu offensichtlich, für alle spürbar ist und sich aus dieser Verlogenheit die Politikerverdrossenheit und damit auch das rechtsradikale Spektrum speist.


 
                                                                             copyright Foto: D. Rapp


Murray Bookchin hat bereits frühzeitig die Zusammenhänge zwischen ökonomischem und sozialem Gesellschaftssystem, menschlicher Gesundheit und der Natur hergestellt. So war er Mitbegründer des Institute for Social Ecology in den USA.
“…The needs of industrial plants are being placed before man's need for clean air; the disposal of industrial wastes has gained priority over the community's need for clean water. The most pernicious laws of the market place are given precedence over the most compelling laws of biology…” (aus “Our Synthetic Environment” von Murray Bookchin, 1962).

Der Zusammenhang zwischen ökonomischen und politischen Systemen, den damit einhergehenden Wertesystemen und unserem Umgang mit der Natur ist von ihm und anderen also lange beschrieben.
Aktuell erinnert der Auftritt von „Fridays for Future“ ein wenig an die „quartiers“ der Pariser Kommune, Bewegung als Volksversammlung, welche Hannah Arendt als den verloren gegangenen Schatz revolutionärer Traditionen bezeichnete. Hoffen wir also, dass diese neue Bewegung darauf verzichtet, mit dem links-grünen Machtspektrum zu koalieren.

Mögen sie stattdessen vielleicht ein wenig bei Murray Bookchin nachlesen. Er beschreibt die Hoffnung, dass wir die „Umweltkrise“ in eine echte Wahlmöglichkeit umwandeln können, lähmende Strukturen wie das Denken in Nationen und rein ökonomisch geprägten Wertesystem hinter uns lassen – denn, eine Gesellschaft, die immer nur das angeblich Machbare im angeblich Unveränderbaren diskutiert, eine Gesellschaft ohne utopischen Entwurf ist am Ende immer den Autokraten hilflos ausgeliefert.

Montag, 7. Oktober 2019


Wölfe

Vergangen geglaubte, archaisch anmutende Prototypen einer völlig unterentwickelten Männlichkeit besetzen wieder Schaltstellen der Macht – demokratisch gewählt. 
Zeitgleich breitet sich auch der Wolf wieder in Europa aus. So erhält ein Lied von Franz Josef Degenhardt aus dem Jahr 1965 in seiner Doppeldeutigkeit neuerliche Brisanz – Wölfe mitten im Mai


copyright Fotos: D. Rapp

 „August der Schäfer hat Wölfe gehört,
Wölfe mitten im Mai, zwar nur zwei,
aber August der schwört,
sie hätten zusammen das Fraßlied geheult,
das aus früherer Zeit, und er schreit.
und sein Hut ist verbeult.
Schreit: "Rasch, holt die Sensen sonst ist es zu spät.
Schlagt sie tot, noch ehe der Hahn dreimal kräht."
Doch wer hört schon auf einen alten Hut
und ist auf der Hut? Und ist auf der Hut? …“

Freitag, 27. September 2019

„post privacy“ in Zeiten von „social media“


es geht nicht darum, ob wir etwas zu verbergen haben

es geht aber ganz sicher darum,

dass wir etwas zu schützen haben

copyright Foto: D. Rapp

Freitag, 14. Juni 2019


Verwachsungen – Mensch und Maschine


Der Philosoph und Mediziner Joachim Bodamer hat bereits in einem Aufsatz aus dem Jahre 1960 eine treffliche Analyse der menschlichen Verfassung in den westlichen Zivilisationen des 21. Jahrhunderts geliefert.

„Unsere Untersuchung geht davon aus, dass der heutige Mensch nicht allein in einer vollkommen von der Technik bestimmten Umwelt lebt, sondern als „Person“ nicht weniger technisiert ist, das heißt, in seinem Verhalten, seinen seelischen Vollzügen, seinem Handeln und in der ganzen Art seiner Weltbewältigung sich der technischen Funktionalität angepasst hat. Seine Daseinsform ist keine „natürliche“ mehr, weil Technik und industrielle Zivilisation Daseinsbedingungen geschaffen haben, die der Konstitution des Menschen entgegengesetzt sind, wobei diese Gegensätzlichkeit durch neue technische Einfälle immer wieder ausgeglichen werden muss.

Da diese Welt ein künstliches und „sekundäres“ System ist, in deren Mittelpunkt primär die Maschine steht, befindet sie sich dauernd in einem Zustand der Labilität und Unruhe, zwingt den Menschen zu gewaltigen Sicherungsmaßnahmen und wächst doch, aufgrund eines undurchschaubaren Gesetzes, andauernd über ihn hinaus. Die Anstrengung, diesen permanenten Vorsprung der technischen Entwicklung immer wieder einzuholen und neuen Lagen gerecht zu werden, prägt die Gesichter und Seelen in der technischen Welt. Sie sind nur dann mit sich in Übereinstimmung, wenn ihnen die Anpassung so vollkommen gelingt, dass eine Identifikation zwischen Mensch und technischem Gebilde zustande kommt. Der Mensch und seine Maschine werden dann eine neue anthropo-technische Einheit. Ob der Mensch für das technische Mittel da ist oder dieses für ihn, ist nicht mehr unterscheidbar und die Frage zu stellen, wie weit er zum Zweck seiner eigenen Mittel geworden ist, wird überflüssig.


Sobald aber diese Verschmelzung von Mensch und Maschine im weitesten Sinne nicht mehr gelingt, sei es, dass Suprageschwindigkeiten die menschliche Konstitution zu zerbrechen drohen, oder dass die technischen Gebilde als Ganzes unüberschaubar werden, wie etwa bei den elektronischen Rechenmaschinen, mit denen sich das übergeordnete Gehirn der Technik zu bilden scheint, da entsteht eine spezifische Angst in der Massenseele, diese Angst der absolut hilflosen Abhängigkeit, die sich in zahllosen Reaktionen Luft verschafft.“

copyright Foto: Detlef Rapp