Donnerstag, 6. Dezember 2018


Der freie Wille und geniale Sprachschöpfungen


Häufig haben Frauen in bestimmten Schwangerschaftsphasen Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln oder Produkten. Es ist dieses eine Korrelation, derer sie sich nicht bewusst sind – ES ist so, bei Schwangeren ist ES so, aber sie weiß nicht warum. Der Vorgang dieses Momentes entzieht sich dem bewussten ICH, lässt sich aber psychologisch dem von Freud so benannten ES zuordnen.

Die klassischen Wissenschaften, wie Neurobiologie und alle anderen sind derzeit weit entfernt von diesem ES, Big Data kommt ihm aber unaufhaltsam auf die Spur. Gigantische Datenmengen öffnen die Tore, dieses ES lesen zu können – und das ist das klar formulierte Ziel aller Datensammlungen.


Die „cloud“ – wohl eine der genialsten machtpolitischen Sprachschöpfungen der Menschheitsgeschichte: „… es ist vorbei mit jeder Theorie über menschliches Verhalten, von der Linguistik bis zur Soziologie. Vergessen wir Taxonomie, Ontologie und Psychologie. Wer kann schon sagen, warum die Menschen das tun, was sie tun? Sie tun es einfach und wir können das mit beispielloser Genauigkeit aufspüren und ausmessen. Wenn ausreichend Daten vorhanden sind, sprechen die Zahlen für sich …“  (aus Wired Magazine 07/2008)

Wenn Big Data Zugang zum ES, dem unbewussten Reich unserer Handlungen und Neigungen hat, kann von Maschinen mit den dort eingegebenen Algorithmen tief in die menschliche Psyche eingegriffen werden. Die Verarbeitung unseres „Es“ in der Rechenmaschine bedeutet zugleich die Materialisierung unseres Unbewussten.

Big Data kündigt damit das Ende des freien Willens an – die digitale Rechenmaschine kann am Ende schneller in die Psyche eingreifen und somit Handeln auslösen, als der freie Wille, als das bewusste Ich es könnten. Rein Maschinelle Vorgänge, denn menschliches Eingreifen ist zu langsam, zu fehlerhaft und findet nicht mehr statt. Digitale Devotionalien wie das Smartphone oder Alexa sind aktuell die ersten Injektionswerkzeuge dieses Aderlasses.

Im Gegensatz zu dem erdachten Überwachungsstaat des George Orwell in seiner negativen Auslegung, bestehend aus Folterkammer, Ministerium für Wahrheit oder ähnlichem regiert heute das Prinzip des Positiven – nicht Mangel, sondern Überfluss, keine Unterdrückung von Bedürfnissen, sondern permanente Anregung werden zum Selbstdarstellungsmotiv. Tatsächlich hat die Firma Apple, mit deutlich Orwellschem Bezug, diese Schnittstelle exakt im Jahr 1984 mit einem Werbespot während der Super Bowl Übertragung zur Einführung des neuen Macintosh via Bildschirm gefeiert.

Seither zelebriert die Menschheit, dank genialer Marketingstrategien und dem Postulat des Positiven, des vorgeblich Möglichen, eine Selbstentblößung, die bis dahin nicht vorstellbar war. Konsumsteuerung und erste Versuche über Meinungsmache sind das Heute, für Morgen aber steht der unmittelbare Eingriff in menschliches Handeln auf der Agenda.

Auch letzte fehlende Bausteine werden den Maschinisten von Big Data in den Rachen geworfen.  Bis vor kurzem noch sensibel zu handhabende Gesundheitsdaten werden heute direkt vom Handgelenk an die Großrechner gesendet. Und selbst der durch die gesamte Menschheitsgeschichte hochgehaltene Schutz der Kinder fällt enthemmter Selbstentblößung zum Opfer – kaum geboren werden Bilder und Informationen jedweder Art freiwillig und ungefragt gesendet – eine neue Dimension, kostbarste Datenmassen aus bislang nahezu unbekanntem menschlichen Terrain, den frühkindlichen Prägungen, welche genau den gleichen Kindern und allen Folgenden die Chance auf den eigenen und freien Willen rauben werden.

Wer diese Gefahren sieht und zum bewussten Umgang mit neuen Medien aufruft, wird mit dem Totschlag-Argument „es ist ja nun mal da, ich habe nichts zu verheimlichen, wir nutzen es doch alle, dann ist es auch egal …“ erlegt. Natürlich ist das eine von den Maschinisten lancierte Argumentation, denn natürlich ist Big Data am Ende nur eine Technik – und den bewussten Umgang mit Technik kann man erforschen und sich aneignen. Die Epoche der Post Privacy will interpretiert werden – für eine selbstbestimmte Zukunft der Kinder von heute.

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