Grundrechte und Beschränkungen – auf Spurensuche
Die Covid-19 Krise hat den Begriff „Grundrechte“ in den Mittelpunkt
gerückt. Erstmals seit Jahrzehnten stehen für die wohlhabenden Menschen in den
Industrienationen persönliche Rechte zur Verhandlung.
Am 10. Dezember 1948 wurde von der Generalversammlung der Vereinten
Nationen die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte verabschiedet. Diese Resolution beinhaltet eine Präambel und
30 Grundrechtsartikel. Hierzu
gehören (Zahlen aus UN-Veröffentlichungen):
Artikel 25 – Jeder hat das Recht auf einen
Lebensstandard, der seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschl.
Nahrung, Kleidung, Wohnung …
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Wasser:
2019 hatten 2,2 Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem
Wasser
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Ernährung:
2019 litten ca. 690 Millionen Menschen an chronischem Hunger, weitere Millionen
an akutem Hunger und nochmals weitere Millionen an sogenanntem verborgenen
Hunger
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Wohnen:
2019 waren alleine 80 Millionen Menschen auf der Flucht und damit ohne Wohnung
- Gründe für die Flucht waren unter anderem Verfolgung, Gewalt, Kriege und
drastische Menschenrechtsverletzungen in
den Herkunftsländern, aber auch Naturkatastrophen
Artikel 26 – Jeder hat das Recht auf Bildung …
·
Bildung:
2018 hatten mindestens 264 Millionen Kinder keinerlei Zugang zu Bildung
·
Kinderarbeit:
2020 arbeiten ca. 152 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren, davon 73
Millionen in massiv ausbeuterischen Verhältnissen
Beispiel: Nach Angaben von Unicef arbeiten rund 40.000 Kinder in Minen
im Süden des Kongo. Ihr Verdienst liegt bei 1 bis 2 US-Dollar am Tag. Dafür
müssen sie bis zu 24 Stunden unter Tage verbringen, hierunter auch
siebenjährige Kinder. Kobalt für Smartphone Akkus ist einer der Rohstoffe, den
Kinder nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International dort
abbauen.
Im Jahr 2018 lebten nach einer Veröffentlichung der Weltbank 3,4 Milliarden Menschen unterhalb der Armutsgrenze (Definition z.B.: in Ländern mit mittlerem Einkommen weniger als 2,80 €/ Tag zur Verfügung). Als Auswirkung der Covid-19 Pandemie verschärfen sich aktuell alle diese eindeutigen Verstöße gegen die Menschenrechte – und es gibt einen klaren ursächlichen Zusammenhang des Reichtums der „Industrienationen“ mit diesen dramatischen Verhältnissen.
Seit Bestehen der BRD gab es in keinem Jahr so viele Demonstrationen für
die Einhaltung der Grundrechte – ist das Land also aufgewacht und setzt sich
jetzt ein für die Millionen Menschen und deren oben beschriebene Schicksale,
hat ein Land endlich verstanden dass dieser in der Menschheitsgeschichte nie
dagewesene Reichtum einer ganzen Gesellschaft und damit die Freiheit eines
jeden einzelnen Bürgers gleichzeitig auf genau diesen Grundrechtsverletzungen
basiert?
Die Demonstrationen verhandeln jedoch ausschließlich die angeblich
dramatische Einschränkung der Grundrechte in der BRD – unterschiedlichste
Gruppierungen beklagen es – angeblich niemals in der Geschichte der BRD wurden
die Grundrechte derart massiv eingeschränkt.
Eine Unterbindung der Meinungsfreiheit findet jedoch nicht statt, pandemiebedingte
Einschränkungen im beruflichen werden in einem Umfang finanziell ausgeglichen,
wie er in der restlichen, gleichfalls pandemiegeplagten Welt schlichtweg nicht
stattfindet, selbst die vielleicht bittersten Einschränkungen im Bildungswesen
ergeben dann immer noch Bedingungen um die deutsche Eltern von Milliarden
beneidet werden.
Ein Standardargument lautet, man sei in Deutschland und müsse sich daher
im eigenen Land für die Grundrechte einsetzen – ignoriert wird dabei, dass die
oben aufgeführten Grundrechtsverletzungen eben genau in Ländern wie der BRD ihren
Anfang nehmen.
Wie ist diese Vehemenz und Diversität der „Grundrechtskämpfer“ also zu
interpretieren? Die Debatte offenbart eine entscheidende, bereits zuvor
erkennbare Fehlstelle: wo Rechte sind, da sind auch Pflichten, eine uralte,
aber weitgehend in Vergessenheit geratene Wahrheit. Nur wenn Rechte und
Pflichten sich im Gleichgewicht befinden, entwickelt sich ein System weiter.
In der BRD nehmen die katholische, die jüdische und die islamischen
Glaubensgemeinschaften das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Anspruch, ohne
sich gleichzeitig zu verpflichten, die Gleichstellung von Mann und Frau in
ihren Inhalten wie auch Strukturen vollumfänglich umzusetzen, es entsteht eine
Unwucht.
Hier wie in anderen Bereichen wird eine Hierarchie der Grundrechte
hergestellt. In einem eigentlich säkularen Staat wird die Religionsfreiheit
über der Gleichstellung von Mann und Frau angesiedelt. Da ca. ein Drittel der
Bevölkerung diesen Religionsgemeinschaften angehört, kann die Gleichstellung
von Mann und Frau in der Gesellschaft nicht durchgesetzt werden (22,6 Millionen
Katholiken; einhunderttausend Juden; 5,6 Millionen Islamgläubige) – es ist dies
nur eines von hunderten Beispielen, wie sogenannte demokratische Gesellschaften
heute agieren.
Der vorrangig gesetzte Schutz des Eigentums versus der deutlich untergeordneten
sozialen Verpflichtung aus Eigentum sorgt zunächst national für zunehmende
Unwucht und wirkt absehbar global kriegstreibend. Von grün bis rechts,
Aufrüstung wird in Deutschland wieder deutlich eingefordert, es gilt, demnächst
die Besitzstände international auch wieder militärisch zu verteidigen.
Freiheit im Handeln und in der Bewegung ist immer wohlstandsabhängig –
das gilt auch für die Freiheit im Denken. Wer den ganzen Tag damit beschäftigt
ist, seinen Mindestbedarf an Nahrung zu besorgen, hat kaum Möglichkeiten, über
dieses Problem hinaus zu denken.
Die Inanspruchnahme von Rechten bedingt also immer die Erfüllung von
Pflichten und zwischen diesen beiden bestehen oftmals Widersprüche oder
Konfliktpotenzial. Auch hierzu gibt es eigentlich globale Verabredungen.
So haben sich die Mitgliedsstaaten der UN völkerrechtlich verpflichtet, Menschen vor wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverstößen zu schützen – durch angemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung - Unternehmen haben die Verantwortung, Menschenrechte zu achten. Sie sollen mögliche negative menschenrechtliche Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit beenden, sowie sich um Wiedergutmachung bemühen (UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP)- s.a. die aktuelle Schweizer Abstimmung über Unternehmensverantwortung) – auch diese Verpflichtung ist in der BRD nicht konsequent gesetzlich umgesetzt.
Bereits für den aktuellen Ressourcenverbrauch bräuchte es den Planeten
Erde 1,5 mal – da die absolute Mehrheit der aktuell lebenden Menschen nichts
hat, worauf sie verzichten könnte, geht es also schon längst nicht mehr nur um gerechtere
Umverteilung, sondern vor Allem um dramatischen Verzicht in den
Industrienationen – werden im Wahljahr 2021 Politiker mit dem einzigen zukunftsträchtigen
Slogan, dem Werben für Verzicht auf unangemessenen Wohlstand einer ganzen
Gesellschaft antreten?
In einem System, welches glaubwürdig im Sinne globalen Wohlergehens
agiert, gelingt es auch im Privaten, für das große Ganze, die Überwindung einer
pandemischen Lage, mal ein paar Tage zu Hause zu bleiben. Eine Gesellschaft,
die global rücksichtslos und egoistisch agiert, kann auch im Privaten keine
Einsicht auf die Notwendigkeit von Verzicht erwarten, sondern wird dort am Ende
immer den gleichen Egoismus als Spiegel ihrer selbst finden.
Die gegenwärtigen, westlich geprägten Gesellschaften sind nicht
fortsetzbar, die Kinder von heute werden in gänzlich anderen Systemen leben – die
Pandemie hat, auch aufgrund ihrer Globalität, diese Bruchstelle markiert und
für alle sichtbar gemacht. Aktuell ist das Versprechen wieder einmal eine
technische Lösung, die Impfung – das eigentliche Motiv wird nicht verhandelt.
Das Virus als Bestandteil natürlicher Prozesse kennt keine Versprechen
oder Emotionen, schadet nicht dem Meer noch dem Berg – kann der Mensch es
verstehen als Aufforderung sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Das
Wesentliche zeigt sich klar und unverwaschen, duldet nicht die Ausrede noch den
faulen Kompromiss – wer sich diesem Wesentlichen nähern möchte, ist nicht in
Gefahr Freiheit mit Egoismus und Ablenkung zu verwechseln.
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