Ein Versuch über Sprache und die Tugendhaftigkeit des Gender*Sternchens
Ihr richtet streng, der Sitte heil'ge Vehm',
Und schleudert auf mein Haupt das Anathem!
Mögt ihr zu Boden stürzen eure Kerzen
Und schlagen an die Brust, so tugendreich:
Ich fühl' es mächtig in dem tiefsten Herzen,
Daß meine Sünde eurer Tugend gleich…
Ihr wollt das Glück in eurer Tugend finden,
Ich finde meine Tugend nur im Glück...
Auszug aus „An
die Frauen“ von Louise Aston in "Freischärler Reminiscenzen"
Divers bedeutet verschieden, abweichend, einige oder mehrere. Warum gibt es Überlegungen, in der deutschen Sprache die Diversität von Geschlechteridentitäten auf ein einziges Zeichen, also das klare Gegenteil von Fülle und Vielfalt, den sogenannten Genderstern* zu reduzieren - eine Spurensuche:
Das Koordinationsbüro für
Frauenförderung und Gleichstellung der Technischen Universität Berlin hat einen
Leitfaden für geschlechtersensible Sprache veröffentlicht*. Es geht darin um, Zitat "demokratische Tugend" und die Sichtbarmachung Aller. Zitat: „Das Koordinationsbüro
für Frauenförderung und Gleichstellung empfiehlt das Gender-Sternchen*.“
Im Vorwort von Prof.*in
Dr.*in Sabine Hark findet sich gleich am Anfang der Satz „Bis 1977
durfte eine verheiratete Frau nur mit Zustimmung ihres Ehemannes erwerbstätig
werden“ – fake news in Reinkultur: seit 1950 konnten Frauen in der DDR bei
gleichem Lohn für gleiche Arbeit ohne jede Einspruchsmöglichkeit des Ehemannes
einer Arbeit nachgehen.
In einem Leitfaden für die
sprachliche Sichtbarmachung von Menschen werden also gleich am Anfang Millionen
in der DDR lebende Frauen unsichtbar gemacht. Handelt es sich hier „nur“ wieder
um einen Ausdruck westdeutschen Überlegenheitsgefühls oder wird die ungesicherte
bzw. falsche Behauptung vorsätzlich verwendet? Auch in der BRD gab es nicht ein
Einzelereignis 1977, sondern, schlimm genug, prozesshafte Entwicklung seit 1958
(„Gleichberechtigungsgesetz“) über 1977 (Reform des Ehe- und Familienrechts)
bis in die heutige Zeit.
Aktuell wird versucht, einen
neuen Sprachgebrauch vorzuschreiben, ohne das eigentliche Wesen von Sprache zu
beachten. Das Wesen von Sprache ist Ausdruck und Abbildung von Zuständen und
Entwicklungen. Im Versuch, etwas vorzuschreiben stört es natürlich, vorherige
Ereignisse als das zu beschreiben, was sie sind, nämlich Prozess.
Berlin ist historisches
Epizentrum in Versuchen politisch motivierte Sprache in die Gesellschaft zu
implantieren. Trotz des DDR-Verbotes von einer Mauer zu sprechen blieb der „antifaschistische
Schutzwall“ eine Mauer. In der davor liegenden Diktatur hat das
Propagandaministerium des Herrn Goebbels in den medialen Sprachgebrauch
eingegriffen. So gesehen sollte eine Universität in Berlin nochmals sensibler
mit „Sprachleitfäden“ umgehen.
Wissenschaft ist immer eine
Momentaufnahme, das beständige Forschen und in Fragestellen ist daher zentrales
Thema einer jeden Universität. Genügt also der weitere Text dieses Leitfadens
universitären Ansprüchen?
Eine darin folgende, zentrale Behauptung
lautet, dass in der Gesellschaft eine relevante Skepsis gegenüber normierender
Zweigeschlechtlichkeit existiert (Zitat „… nicht alle Menschen verstehen sich
ausschließlich und immer als Frau oder als Mann, sondern
beispielsweise als trans, inter, genderqueer oder nicht-binär. Das macht
Frauenförderung selbstverständlich nicht überflüssig. Deutlich wird aber, dass
wir uns gegenwärtig in einem Spannungsfeld zwischen der fortdauernden
Notwendigkeit von Frauenförderung und der Skepsis gegenüber normierender Zweigeschlechtlichkeit
bewegen.“).
Da es sich um eine
universitäre Veröffentlichung handelt, müssten sich im Anhang Querverweise auf
Studien finden, die dieses Spannungsfeld als gesellschaftlich relevantes Phänomen belegen. Wie viele Menschen erklären
sich beispielsweise als Nicht-Binär? und, wie viele Menschen sagen, dass
Nicht-Binäre Menschen in unsere Sprache eingeführt werden müssen? Es ist eine Behauptung, entsprechende Studien existieren jedoch nicht, daher auch
keine Quellenangabe.
Obwohl es sich um einen
universitären Leitfaden handelt, er sich also an alle Disziplinen richtet, wird
eine Frage, wie in der gesamten Debatte, überhaupt nicht verhandelt: Schreiben
wir auch uns verwandten Tierarten beispielsweise die Möglichkeit des Nicht-Binären zu (z.B.:
Im Zoo waren die Kinder besonders gerne bei den Schimpans*innen?). Es wird nicht
verhandelt, das Motiv dafür findet sich im Nicht-Binären selbst. Dessen Grundlage
ist die vollständige Ablösung des Menschen von biologischen Zusammenhängen,
damit existiert natürlich erst Recht keine Verbindung zwischen Mensch und Tier.
Nicht-Binäre Menschen erschaffen sich selbst – aus was eigentlich?
Menschen in Gefahr?
Menschen, welche als Teil
kleiner Minderheiten leben, also vom als gesellschaftliche Norm Empfundenen
abweichen, wissen immer auch, dass Minderheiten potentiell Gefahr drohen kann.
Indem Minderheiten in das gesellschaftliche Rampenlicht gerückt werden,
entsteht Bewegung. Die Geschichte zeigt, dass bereits latente
Genervtheit hervorragender Nährboden für reaktionäre Kräfte sein kann, um
Aggression gegen diese Minderheit zu schüren. Wenn also eine Minderheit sich bewusst
emanzipieren möchte, so ist sie sich dieser Gefahr bewusst und kann sich dem
stellen.
Unbestritten notwendige
gesetzliche Änderungen oder die Abschaffung entwürdigender Verfahren richten
sich an die Betroffenen, dienen einem gleichberechtigteren Leben. Das
Vorschreiben veränderter Sprache dagegen richtet sich an Alle, will in diesem Fall die
Existenz von Minderheiten „per Dekret“ im Leben Aller permanent
vergegenwärtigen.
Jede Universität trägt
besondere gesellschaftliche Verantwortung. Grundlage für einen Leitfaden,
welcher Minderheiten derart ins Rampenlicht holt, ist daher zwingend eine
Untersuchung, ob diese Minderheiten das so überhaupt wollen. Würde vielleicht mancher nur gerne "ganz normal und unauffällig" leben, fürchten sich gar manche angesichts der Vehemenz der Debatte?
Entsprechende Untersuchungen
fehlen. Grundlage solcher Studien wäre zunächst verlässliches Wissen
darüber, wie viele Menschen diesen Gruppen angehören und bereits darüber gibt
es sehr unterschiedliche Aussagen (z.B. Zitat: „Für intersexuelle Menschen variieren
– je nach zugrunde liegender Definition – die absoluten Zahlen in Deutschland zwischen
8.000 und 120.000“ aus „Situation von trans- und intersexuellen Menschen im
Fokus“, BMFSFJ 2016).
Bekannt ist allerdings, dass
z.B. ca. 16% der Bevölkerung besorgt sind, Kinder mit Transsexuellen zu konfrontieren.
Die Frage, ob sich derartiges mit dem im Leitfaden vorgeschriebenen
Sprachgebrauch verbessern lässt, oder im Gegenteil eher Aggression forciert,
wird nicht verhandelt - aber bereits 18% unterstellen Transsexuellen eine
Sonderstellung (Befragung Meinungs- und Marktforschungsinstituts Ipsos 2017).
Die konsequente
Geschlechtsumwandlung führt immer zu Narbenbildung. Wir müssen dem achtsam
begegnen. Ob aber unter der Narbe als sichtbarer Spur einer Beschädigung deren
Überwindung liegt, ist jedes Mal ein ganz persönliches Einzelschicksal – es
taugt nicht zum Gesellschaftsmodell und sollte erst Recht nicht zu politischem
Propagandamaterial verkommen.
Genau diese Menschen jedoch sind
die größte Gruppe innerhalb derer, die da mit dem *Sternchenwort gemeint sind.
Ihr Lebenswunsch ist die eindeutige Zuschreibung des männlichen oder weiblichen
– nur eben genau anders als sie geboren wurden. Mit dem *Sternchenwort wird
dieser Wunsch verhindert, es ist die andauernde Erinnerung daran, Teil einer
Minderheit zu sein.
Tatsächlich forciert wurde die
Debatte ausgehend vom sogenannten „dekonstruktiven Feminismus“ mit der Behauptung,
dass männlich und weiblich reine Konstruktionen seien (s.z.B. Judith Butler, Gender Trouble, 1990). Wie passt diese Behauptung
der Ablösung des Menschen von biologischen Zusammenhängen in einen Moment, in
dem wir eigentlich erkannt haben, dass „Mensch“ nur dann überlebt, wenn wir die
Natur endlich wieder in den Mittelpunkt all unseres Denkens rücken?
Demut gegenüber der Natur ist unerlässlich, Demut aber ist eine in Vergessenheit geratene Tugend in einer Zeit, in welcher der Mensch glaubt, er könne von der Umwelt über das Wetter bis hin zur eigenen Geschlechtlichkeit alles gestalten oder zerstören oder retten. Gibt es da nicht gerade ein kleines Virus als warnenden Hinweis, dass das eine krasse Fehleinschätzung sein könnte?
Anmerkung: der Autor plädiert weiterhin für eine Schreibweise mit dem wunderbaren Wörtchen "und"
*KFG Geschlechtersensible
Sprache – Ein Leitfaden, 2018, hier zitiert Auflage 2020: https://www.tu-berlin.de/fileadmin/a70100710_gleichstellung/Diversity_Allgemeines/KFG-Leitfaden_geschlechtersensible_Sprache.pdf
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